Die meisten Geschichten, die man heute über Poker um ganz hohe Geldbeträge, also die High Stakes Cash Games hört, drehen sich um Macau, Tom Dwan und die ominösen „asiatischen Geschäftsmänner“ oder um verrückte Games auf abseitigen asiatischen Pokerseiten. Wenn es aber in der jüngeren Vergangenheit eine Geschichte gab, die sich für einen Hollywoodstreifen eignet, dann die, die sich in den Vereinigten Staaten abgespielt hat, teilweise sogar in Hollywood selbst.
Die Story hat alles, was eine gute Geschichte braucht: Prominenten und Pokerprofis wie Dan Bilzerian, Tobey Maguire, Matt Damon, Ben Affleck, Macauly Culkin, Nick Cassavetes und Fernsehkommentator Gabe Kaplan.
Es gibt ein paar reiche, dubiose Geschäftsleute wie die Trinchers aus Russland, Bradley Ruderman, der Hauptschuldige daran, dass die ganze Geschichte aufflog, eine Kunsthändlerdynastie aus Syrien sowie Leute mit Kontakten zum organisierten Verbrechen wie Alimzhan Tokhtakhounov, der es später auf die Liste der zehn meistgesuchten Personen weltweit schaffte.
Und dann ist da natürlich noch eine schöne, rätselhafte Frau, bei der alle Fäden zusammenlaufen.
Molly Bloom
Die Geschichte von Molly Bloom beginnt in der Stadt mit dem schönen Namen Loveland in Colorado. Sie ist die Tochter eines klinischen Psychologen und einer Skilehrerin.
Ihre beiden jüngeren Brüder begeisterten sich von früher Jugend an für Sport. Tatsächlich sollte einer von ihnen – Jeremy – später Doppelolympiasieger und dreifacher Weltmeister im Skisport werden, bevor er sich dem American Football zuwendete, eine Modelkarriere einschlug, ein erfolgreiches Unternehmen und schließlich auch noch eine wohltätige Organisation gründete.
Sie heißt The Jeremy Bloom Wish of a lifetime foundation und kümmert sich darum, die Lebensträume älterer Menschen wahr werden zu lassen.
Bei soviel Talent und Erfolg erwartet man beinahe, dass es irgendwo ein schwarzes Schaf in der Familie geben muss.
Molly Bloom kam erstmals in Schwieirgkeiten, als sie 18 Jahre alt war. Sie geriet auch während ihrer Studentenzeit mit dem Gesetz in Konflikt, aber es handelte sich dabei immer um Bagatellen wie zu schnelles Fahren oder Lärmbelästigung im Studentenwohnheim.
Mit Poker kam sie erstmals in Kontakt, nachdem sie im Jahr 2003 nach Los Angeles gezogen war.
Sie arbeitete damals für einen Makler, der zufällig eine private Pokerrunde veranstaltete.
Es dauerte nicht sehr lange, bis sie begriff, dass sich hiermit eine Menge Geld verdienen ließ. Also begann Molly Bloom selbst, Pokerpartien zu organisieren, und hatte damit sofort Erfolg.
Sogar die Spieler, die eigentlich bei ihrem Chef spielten, siedelten zu ihrer Partie über, und in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts waren Molly Blooms High Stakes Partien die beliebtesten in ganz Kalifornien, und gleichzeitig eines der am besten gehüteten Geheimnisse.
„Sie war eine gute Unternehmerin und ein sehr kluges Mädchen“, sagt ihr Anwalt Ronald Richards, der sie später vor Gericht vertrat.
Spiderman, Daredevil und Jason Bourne
Die Partien liefen zunächst im Haus von Tobey Maguire an, und die Teilnehmer waren Top-Promis der Stadt.
Schon bald saß Leonardo di Caprio regelmäßig am Tisch, Ben Affleck und Matt Damon schlossen sich an, und auch Macauly Kevin allein zuhaus Culkin schaute ab und zu herein.
Ben Affleck galt damals übrigens als passabler Spieler. Im Jahr 2004 gewann er die California State Championship und kassierte $350.000.
Und Matt Damon war sogar regelmäßiger Gast bei großen Turnieren wie der WSOP, auch wenn er als Spieler nie so gut war wie als Schauspieler, vor allem wenn man an Rounders denkt, wo er ja quasi beides gleichzeitig war.
Der beste in der Runde war aber ohne Frage Tobey Maguire.
Einer der Teilnehmer, die auf die harte Tour erkennen mussten, wie schlecht es manchmal laufen kann, war der Fernsehproduzent und Mitbegründer Houston Curtis.
Curtis verlor innerhalb einer Nacht eine ganze Million Dollar. Maguire half ihm daraufhin finanziell aus und übernahm einen Teil der Schulden.
Also schuldete Curtis Maguire 300.000 Dollar. Die Vereinbarung lautete, dass Curtis weiterspielen und 50% seiner Gewinne an Maguire abtreten sollte. Verlor er, war das natürlich sein eigenes Problem.
Kurze Zeit später erlitt Curtis einen Herzinfarkt. Dabei ist er erst in seinen Vierzigern. Er behauptete, dass dieser Vorfall nichts mit seinen Schulden zu tun habe, aber „Spiderman“ bewies dennoch Größe und erließ ihm den Rest.
Die Milliardäre
Es gab ein paar Spieler in der Partie, die 300.000 Dollar sicher keine Minute Schlaf kostete. Zum Beispiel Leute wie Alec Gores und Andy Beal.
Gores stammt aus Israel und besitzt rund 80 Unternehmen. Sein Privatvermögen wird auf zwei Milliarden Dollar geschätzt, und auf der Lsite der reichsten Männer Amerikas von Forbes Magazine rangiert er auf Platz 273.
Gores und Maguire wurden mehrfach eingeladen, per Privatjet nach Texas zu fliegen und dort an einer Pokerrunde teilzunehmen, die von Andy Beal organisiert wurde.
Während Alec Gores ein großer Name in der Welt der Wirtschaft, aber nicht unbedingt in der Pokerwelt, gilt Beal in beiden Welten als lebende Legende.
Der Selfmade-Milliardär aus Dallas schuf sein Vermögen mit dem Ankauf von problembehafteten Vermögenswerten und Aktiva. Er soll knapp zehn Milliarden Dollar schwer sein.
In der Liste von Forbes liegt er damit auf Platz 42 der reichsten Amerikaner. In einem Kommentar über ihn hießt es: „Er wird immer reicher, weil die Werte der Banken immer weiter steigen und er sich jedes Quartal ein paar fette Dividenden auszahlt.“
Sogar in der Wissenschaft hat sich Beal einen Namen gemacht. Er formulierte eine mathematische Formel, die heute als „Beals Hypothese“ bekannt ist und eines der ungelösten mathematischen Probleme unserer Zeit darstellt.
Ach übrigens, falls es Ihnen gelingt, es zu lösen, zahlt er Ihnen eine Million Dollar. Ganz im Ernst.
In der Pokerszene hinterließ er bleibenden Eindruck, nachdem er sich in den 1980er Jahren aufmachte, eine Gruppe von Top-Pokerprofis in Las Vegas aufzumischen, und zwar heads-up, mit Limit Hold’em.
Zu dieser Gruppe gehörten damals Spieler wie Phil Ivey, Chip Reese, Barry Greenstein, Gus Hansen, Ted Forrest, Jenifer Harman, Doyle Brunson und Lyle Berman.
Beal war sich darüber im Klaren, dass er sich was die Spielqualität betraf im Nachteil befand. Also entwickelte er eine Ausweichstrategie, um gegen die Profis bestehen zu können:
Er bat darum, die Blinds immer weiter anzuheben, bis er die Spieler aus ihrer Komfortzone zwingen konnte.
Einige Male funktionierte das tatsächlich, und es lagen zeitweise über zehn Millionen Dollar auf dem Tisch, aber am Ende setzten sich die Profis durch.
Gerüchten zufolge verlor Andy Beal in den Partien von Molly Bloom über 50 Millionen Dollar. Allerdings wird dies von seinen Sprechern dementiert.
Nicht dementiert wird hingegen, dass Beal und Gores daran teilnahmen, und dass Beal verlor. „Darüber hinaus gibt Mr. Beal keinen Kommentar ab“, sagt einer seiner Sprecher.
Es gab viele Leute, die gerne in die High Stakes Runde einsteigen wollten, aber das war nur über eine persönliche Einladung möglich.
Nick Cassavetes, Regisseur mehrerer Filmdramen und Komödien sowie Teilnehmer an der legendären Show High Stakes Poker erhielt so eine Einladung, ebenso wie der damalige Kommentator Gabe Kaplan, der Poker-Playboy Dan Bilzerian, der Musikproduzent Cody Leibel und Rick Salomon, dessen größter kommerzieller Erfolg ein Sexvideo mit Paris Hilton ist.
Weniger bekannt, aber für das Schicksal der high Stakes Partie wichtiger, war der Hedgefonds-Manager Bradley Ruderman. Der Chef von Ruderman Partners verlor 25 Millionen Dollar in der High Stakes Partie und startete daraufhin ein Schneeballsystem, um das Geld bezahlen zu können.
Das FBI sollte seine Machenschaften aufdecken, aber soweit war es noch lange nicht. Im Jahr 2009 stand die Partie in voller Blüte und wurde in Beverly Hills herumgereicht.
Teilweise fand das Spiel auch im Hotel Four Seasons, dem Beverly Hills Hotel und dem Viper Room auf dem Sunset Boulevard statt.
Molly Bloom kassierte ihren Anteil, Maguire gewann konstant. Das Leben war gut.
Die Mafia
Mancher der Spieler ging allerdings schon damals ein bisschen zu weit. Einer der Spieler, der gerne anonym bleiben möchte, erklärte:
„Eine Handvoll von uns wusste, dass einer der Spieler ein zusätzliches Hotelzimmer gebucht hatte, in dem zwei Prostituierte saßen. Manchmal verschwand er für 30 Minuten, was die anderen am Tisch ziemlich frustrierte.“
Nachdem sie in Kalifornien so große Erfolge gefeiert hatte, entschied Molly Bloom, ihre kleine Pokerrunde auf die amerikanische Ostküste auszuweiten.
Ein Fehler, wie sich zeigen sollte.
Zunächst schien es aber gutzugehen. In der Folge traten auch bekanntere Pokerprofis in die Runde ein. Kenny Tran, zum Beispiel, und Justin Smith.
Aber unter den Neuzugängen – oder sagen wir sicherheitshalber, zu denen, die mit den neuen High Stakes Partien in New York in Kontakt kamen, waren auch Leute wie Helly Nahmad, die Familie Trincher und Alimzhan Tokhtakhounov.
Helly Nahmad ist Anfang 30 und entstammt einer der reichsten Kunsthändlerfamilien der Welt, der syrischen Nahmad-Familie.
Vadim Tincher gewann 2009 die Foxwoods Poker Classic. Über seinen tatsächlichen Beruf ist allerdings nichts bekannt.
„Niemand kennt Vadims Geschäfte, weil Vadim mit niemandem spricht“, zitiert der New York Observer eine „den Brüdern Eugene und Ilya Trincher nahestehende Quelle“.
Eugene und Ilya sind Vadims Söhne. Ilya lebte nebenbei gesagt in einem der teuersten Häuser von ganz Los Angeles.
Sowohl die Nahmads als auch die Trinchers besaßen Wohnungen im Trump Tower. Nahmad leitete die New Yorker Filiale der Nahmad Art Gallery auf der Madison Avenue.
Alimzhan Tokhtakhounov ist inzwischen einer der zehn meistgesuchten Personen der Welt.
Unter Anderem wird ihm vorgeworfen, mehrere Ergebnisse der Olympischen Winterspiele in Salt Lake City manipuliert zu haben.
Allen drei Parteien wurde vom FBI Geldwäsche in Höhe von mehr als einhundert Millionen Dollar vorgeworfen.
Die Machenschaften sind so umfangreich, dass das FBI sogar von der „Nahmad-Trincher Organisation“ spricht.
Es gilt als gesichert, dass die oben genannten Hollywoodschauspieler ebenfalls nach New York kamen, auch Andy Beal war mehrfach dort.
Es gibt keine eindeutigen Beweise, aber man kann mit einiger Sicherheit davon ausgehen, dass alle Genannten früher oder später gemeinsam am Tisch saßen.
Das letzte Kapitel
Dann ging es langsam aber sicher bergab. Die Stakes waren nicht mehr so hoch wie früher in Kalifornien, und die ganze Sache wurde zunehmend riskant, weil das FBI gegen so viele der Teilnehmer gleichzeitig ermittelte.
Nach Abschluss der Ermittlungen führte das FBI zahlreiche Durchsuchungen durch, unter Anderem auch bei der Nahmad Gallery.
Am Ende standen 34 Verhaftungen, darunter alle Personen, die in dieser Geschichte auftauchen, falls Sie es denn bis hierher geschafft haben.
Und so endet die Geschichte von Molly Bloom, Tobey Maguire und ihren High Stakes Cash Games – in einem New Yorker Gerichtssaal.
Nicht jeder wurde verurteilt, und das hätte ja auch nicht jeder verdient, denn private Pokerrunden sind in den USA nicht illegal, jedenfalls nicht, solange kein Rake genommen wird.
Bei Molly Bloom war das der Fall, aber damit machten sich die Spieler ja nicht automatisch strafbar.
Trotzdem plädierten fast alle Angeklagten auf schuldig. Tobey Maguire wurde zur Zahlung einer sechsstelligen Summe verurteilt. Es handelte sich dabei um das Geld, das er von Bradley Ruderman gewonnen hatte.
Hört sich merkwürdig an, war aber tatsächlich so.
Ruderman hatte das Geld, das er verlor, nämlich unrechtmäßig erworben, und deshalb erkannte das Gericht Maguires Gewinne nicht als rechtmäßig an.
Helly Nahmad wurde zu einem Jahr und einem Tag Gefängnis verurteilt. Sein großzügiges Angebot, statt einer Gefängnisstrafe es auf sich zu nehmen, Obdachlosen Kunstunterricht zu erteilen, wurde vim Gericht abgelehnt.
Zusätzlich musste Nahmad 6,4 Mio. Dollar zahlen.
Ilya Trincher, bis jetzt der letzte Verurteilte, muss genauso tief in die Tasche greifen. Hinzu kamen sechs Monate auf Bewährung.
Sein Bruder wartet noch auf das Urteil, während Vater Vadim mit fünf Monaten auf Bewährung davonkam.
Bradley Ruderman, der Mann mit dem Schneeballsystem, sitzt inzwischen eine zehnjährige Gefängnisstrafe ab.
Alimzhan Tokhtakhounov ist weiterhin auf der Flucht.
Und Molly? Wie die Hollywood-Größen gelang es ihr, einer Gefängnisstrafe zu entgehen. Seitdem hält sie sich bedeckt, doch im vergangenen Jahr kündigte der Verlag HarperCollins die Veröffentlichung von Molly’s Game an, „eine Insider-Geschichte über Exzesse und Gefahren, über Gier und Glamour“.
Molly tat also das, was Amerikaner gerne tun, wenn sie irgendwie in die Schlagzeilen geraten: Sie schrieb ein Buch.
Es soll im kommenden Monat veröffentlicht werden, und darin kommen noch weit mehr Leute vor als wir heute in diesem Artikel begegnet sind.
Nehmen wir Bryan Zuriff zum Beispiel, ein Hollywood-Produzent, der die Serie „Ray Donovan“ für den Sender Showtime realisiert hat – zwei Jahre auf Bewährung – oder Jeffrey Katzenberg, den Chef der Dreamworks Animation Studios.
Seit dem modernen Klassiker von Michael Craig wurde kein Buch aus der Pokerbranche mehr so sehnsüchtig erwartet.