Wenn man beim Main Event der WSOP einen Deep Run hinlegt, werden die Preisgeldsprünge immer eklatanter, und eine falsche Entscheidung kann einen sechsstelligen Betrag ausmachen. Vom gerade beendeten Finale schauen wir uns eine Hand an, in der Scott Stewart eiserne Nerven brauchte, um den letztlich siegreichen Call zu finden. Hier die Analyse dieser dramatischen Hand.
Ausgangslage und Spiel bis zum River
Wir steigen ein in Tag 7 des WSOP Main Event, es sind noch 22 Spieler dabei, die alle schon über $263.000 sicher haben. Für viele dieser Spieler ist das aber eine einmalige Gelegenheit, noch deutlich mehr zu gewinnen, bereits der nächste Preisgeldsprung bedeutet ein Plus von fast $80.000.
In diesem Umfeld wird an drei Tischen mit Blinds von 150.000/300.000 plus 50.000 Ante gespielt, und der Brite Jack Sinclair, der mit sehr aggressivem Spiel aufgefallen ist, ist mit über 40 Millionen Chipleader. Direkt in der Hand davor gewann er mit Assen gegen Zehnen von John Hesp einen ansehnlichen Pott.
Nun raist er erneut vom Cut-Off auf 700.000, und alle Spieler folden vor Scott Stewart, der im Big Blind
hält und noch etwa 5,7 Millionen Chips hat. Stewart callt. Damit sind 1.950.000 Millionen im Pott, und die effektiven Stacks betragen 5 Millionen.
Der Flop bringt
Stewart checkt, Sinclair setzt weitere 650.000 und Stewart callt. Damit sind 3.250.000 Millionen im Pott, und die effektiven Stacks betragen 4,3 Millionen.
Der Turn bringt die
Stewart checkt, Sinclair setzt weitere 1.300.000 und Stewart callt. Damit sind 5.850.000 Millionen im Pott, und die effektiven Stacks betragen 3 Millionen.
Der River bringt die
Stewart checkt, Sinclair setzt ihn mit knapp 3.000.000 All-In, und Stewart überlegt mehrere Minuten. Schließlich callt er und verdoppelt gegen
auf über 11 Millionen.
Am Ende belegt Stewart den 13.Platz und gewinnt $535.000 – fast das Doppelte dessen, was er bei einem Ausscheiden in dieser Hand gewonnen hätte.
Analyse und Bewertung
In einer extrem wichtigen Situation trifft Scott Stewart, der vor allem bei kleineren Turnieren schon einige gute Ergebnisse aufzuweisen hatte, die richtige Entscheidung und bleibt weiter im Rennen.
Schauen wir uns die gesamte Hand noch einmal an, um zu verstehen, wie er mit einem so schwachen Blatt wie A4 den siegreichen Call finden konnte.
Vor dem Flop raist Jack Sinclair vom Cut-Off, nachdem er gerade einen schönen Pott gegen John Hesp gewonnen hat. Angesichts der allgemeinen Turniersituation und seiner Position ist sein Spektrum extrem breit – er ist Chipleader und ohnehin ein aggressiver Spieler.
Unter diesen Umständen kann Scott Stewart auch ein schwaches Ass im Big Blind nur schwer folden. Das Problem an dieser Spielweise ist, dass er nur sehr selten eine starke Hand bekommen kann und daher einen langen Weg bis zum River vor sich hat – obwohl seine Hand gegen das Spektrum von Sinclair vorn liegt.
Trockener Flop
Der Flop mit A♠ 9♠ 3♦ ist ziemlich trocken, denn es gibt außer dem Flush Draw in Pik und sehr unwahrscheinlichen Gutshots (mit 54, 52 oder 42) keine Draws.
Allgemein ist das ein sogenannter Raiser-Flop, weil das Board dem Spektrum des Raisers eher hilft als dem Caller, der viele Kombinationen mit einer Dame, einem Buben, einer Zehn oder einem König sowie recht viele Paare und Suited Connectors hat.
Insofern ist das folgende Geschehen völlig normal: Stewart checkt zum Raiser, der bringt die Continuation Bet und Stewart callt mit Top Pair.
An diesem Beispiel sieht man sehr schön, dass ein Raise mit Stewarts Hand wenig bis nichts brächte. Bis auf ein paar Flush Draws in Pik würde Sinclair alle schlechteren Hände folden und Stewart wüsste nach einem Call nicht, wie er die Hand weiterspielen soll.
Verbindliche Entscheidung auf dem Turn?!
Nach dem normalen Verlauf auf dem Flop kommt mit der 8♥ eine Karte, die nicht viel ändert, außer dass weitere Draws hinzukommen sind und 98 sowie 88 plötzlich die beste Hand sind.
Nach Stewarts Check setzt Sinclair erneut und kündigt seinem Gegner bereits jetzt zumindest die Drohung an, dass er auf dem River sein Turnierleben riskieren muss, wenn er noch einmal callt.
Die Pot Odds sind mit 3 zu 1 ausgezeichnet für Stewart, doch natürlich ist seine Hand nicht sonderlich stark.
Will man mit A4o, also Top Pair ohne Kicker, wirklich eine weitere Bet mit der Ambition bezahlen, auf dem River auch ein All-In zu callen?
Natürlich gibt es nach einem Call auf dem Turn auch die Möglichkeit, dass Sinclair mit einem Bluff auf dem River den Schwanz einzieht, aber dennoch muss man auf das Äußerste gefasst sein.
Es kommt, wie es kommen muss
Und tatsächlich. Nach der T♦ auf dem River und dem logischen Check von Stewart geht Sinclair All-In.
Schauen wir uns deshalb die Hände von Sinclair an, die zu seiner Spielweise passen:
- Starke Hände: AA, 99, 33, 88, A9, A8, A3, 98, (AT hätte vor dem River kaum zweimal gesetzt), Q♠ J♠, J♠ 7♠ und 7♠ 6♠ (letztere wurden vorher zweimal semigeblufft)
- Mögliche geplatzte Draws: Andere Hände mit zwei Pik, vereinzelte Gutshots
- Totaler Schrott
Nicht enthalten sind in dieser Aufstellung Hände wie AK, AQ oder AJ, die in absteigender Form immer unwahrscheinlicher werden.
Der Grund ist recht einfach: gute Turnierspieler setzen mit einer Hand wie Top Pair nur selten in allen Setzrunden, da sie einfach zu oft geschlagen sind, wenn sie dreimal gecallt werden, und da man oft mehr Chips gewinnen kann, wenn man eine Setzrunde checkt.
Dies ist der ausschlaggebende Faktor, dass Stewart so lange überlegt und sich schließlich für den Call entscheidet.
Das Spektrum starker Hände besteht zwar aus gar nicht so wenigen Kombinationen (je dreimal die Sets = 12 Kombos, 3 Flush-Kombos + je neunmal die Two Pairs = 36 Kombinationen = 51 Kombinationen), doch sind es natürlich deutlich weniger, als wenn man die besseren Asse ebenfalls berücksichtigen würde.
Im Grunde ist Stewarts A4 in diesem Fall also genauso gut wie AK, da beide Hände nur einen Bluff schlagen und Sinclairs Spektrum mit Schrott und stärkeren Händen ab Two Pair ziemlich polarisiert ist.
Fazit
Jack Sinclair setzt als Chipleader seinem Gegner Scott Stewart heftig zu. Erst repräsentiert er das Ass, dann buttert er mit einem Gutshot nach und schließlich hämmert er den Rest in die Mitte, als der Pik Draw nicht ankommt, in der Hoffnung, geplatzte Draws und schwache Value Hände zum Folden zu bringen.
Scott Stewart dagegen behält in einer halsbrecherischen Situation kühlen Kopf und findet den siegreichen Call. Eine gute Hand und das Turnieraus war allerdings keineswegs völlig unwahrscheinlich.